Nachruf
Autorin: Gabi
Ich kannte Sie nicht, dennoch möchte ich, muss ich diesen Nachruf schreiben. Ich rufe Ihnen all das nach, ich hätte es so gerne von Angesicht zu Angesicht gesagt, so von Frau zu Frau.
Bitte verzeihen Sie mir, es ist sicherlich anmaßend, denn Sie wissen gar nicht, wer ich bin.
Bitte, lassen Sie mich versuchen zu erklären, warum ich das tun muss. Vielleicht verstehen Sie meine Beweggründe?
Ich möchte viele, viele Jahre zurückgehen. Ich nun neu in Berlin und ganz langsam, bei all den aufregenden, für mich nun ganz neuem farbigen Leben, nehme ich die Nachbarschaft wahr. Dennoch Sie und Ihr Mann fielen mir sofort auf, von meinem Fenster aus, hier in Mitte. Ich schätzte Sie beide so Anfang 60, silbriges längeres Haar, immer lächelnd, immer in Eile, immer Händchen haltend, immer küssend. Kurze Küsse und sowas von zärtlich. Ihre Eile wirkte nie gestresst, mehr tänzelnd in den Tag, von einem Ort der Freude, zum nächsten Ort, der wieder Freude erwarten lässt.
Manchmal sah ich Sie viele Monate nicht.
Wenn ich Sie aber wieder wahrnahm, dachte ich die Zeit wäre stehen geblieben. Sie verhielten sich niemals anders. Ihr Lächeln im Gesicht übertrug sich auf mein Gesicht und in mir war auf einmal eine Gelassenheit, ein Urvertrauen auf alles, was noch kommt. Sie waren für mich ein Garant für die Liebe. Älter werden jenseits von allem Schönheitsgefasel. Ihre innerliche und äußerliche Schönheit drückte sich in Ihrer Lebendigkeit aus. Sie waren im hier und jetzt, sich selbst genug.
Warten Sie verdrehen Sie jetzt nicht die Augen. Sie haben Recht, was ich glaubte zu sehen, muss ja gar nicht stimmen. Es war ja immer nur eine Momentaufnahme. Vielleicht verhielten Sie sich auch nur so, wegen der Leute. Kennt man ja zur Genüge. Nach außen die perfekte Welt zeigen und zu Hause ein öder, liebloser Umgang. Nein, das gestatte ich mir nicht zu denken. Nein, niemals!! Nehmen Sie mir bitte nicht die Illusion.
So ca. vor 5 Jahren, sah ich Sie dann alleine, wieder ganz beschwingt und tänzelnd, in Eile, in der Hand eine Gießkanne und einen kleinen Spaten. Ah, Sie haben nun einen Garten, waren so meine Vermutungen, doch warum sind Sie dann immer ohne Ihren Mann unterwegs? Ich malte mir aus, er wartet auf der Gartenwiese mit Käffchen und Ihrem Lieblingskuchen.
Den anderen Gedanken, der wie eine drohende Wolke in mir Platz nahm, gerade wegen der grünen Wiese, verscheuchte ich, Nein niemals!!
Ein Nachbar erzählte mir eine lange Zeit später, rein zufällig, dass Ihr Mann krank wurde, schwer krank und dann ging alles ganz schnell.
Was!! Oh, ich reagierte sowas von betroffen. Mein Nachbar meinte, kanntet ihr euch? Nein und doch, ich konnte ihm das nicht erklären, es ist ja auch nicht zu erklären.
Ich sagte nur, so ein schönes Paar und nun ist sie ohne Ihren Mann, da fehlt doch was. Wie muss diese Frau leiden. Mein Nachbar sagte dazu noch, naja, sie wird nicht alleine bleiben, sie sei eine sehr, sehr leidenschaftliche Frau. Ich schüttelte vehement den Kopf. Ja doch, diese Leidenschaft sieht man, aber sie haben sich doch so geliebt, das reiche doch für 3 Leben? Außerdem, wieso nimmst du das an? Du hast doch keine Ahnung fuhr ich ihn an.
Warte es ab, meinte er nur, mit einem vielsagenden Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte, nicht wollte. Nein Niemals!!
Viele Monate später sehe ich Sie wieder, doch mir stockte der Atem, Sie waren nicht allein. Tänzelnd, lachend, küssend, neben Ihnen ein Mann mit silbrigem Haar.
Sie sahen sehr, sehr glücklich aus.
Bis das der Tod uns scheidet und dann geht es weiter? Ist das so? Ich freute mich mit Ihnen. Ihr Lächeln war ein Versprechen, dafür danke ich Ihnen.
Dezember 2023: ich las folgende Nachricht:
Frau 82 wurde leblos am 1. Weihnachtsfeiertag in ihrer Wohnung aufgefunden, Schlaganfall.
Sie leben nicht mehr. Sie fehlen mir, Sie junge Frau mit 82, die tänzelnd durch Berlin Mitte ging. Das Bild werde ich nie vergessen. Sie werde ich nicht vergessen.
Durfte ich das so über Sie schreiben schöne Frau?
Autorin: Gabi
entstanden am 04. Februar, in der Schreibstube N°4