Der Vater

von Gabi

Ich war so ungefähr 4 Jahre alt. Hatte mal wieder meinen Vater verärgert.
Er stand drohend vor mir und sagte mit eiskalter Stimme, du gehörst nicht mehr zu uns, pack deinen Koffer und dann lebst du ab sofort bei Wackelpuppe.
Wackelpuppe war die Frau im Dorf, die geistig zurückgeblieben war und deren Kopf immer gewackelt hatte, sie wohnte in einem winzigen, baufälligen Haus, am Dorfrand.
Die größeren Dorfkinder liefen immer dieser Frau hinterher und riefen, Wackelpuppe, Wackelpuppe fang mich doch.
Wackelpuppe rannte dann den Kindern hinterher, einen Stock in der Hand, wirre Augen, wirres Haar. Bei ihr sollte ich von nun an leben, das sagte dieser Mann, der mein Vater war.
Ich packte also meinen Koffer und wusste wie so oft nicht, was ich denn so Schreckliches getan haben könnte, das wusste ich nie, seine Wut auf mich war plötzlich da und blieb.
Ich packte still und leise, innerlich schluchzend meinen Koffer und ging die lange steile Treppe runter, schaute mich nicht um. Ich nahm das einfach so an. Krachend fiel die Tür hinter mir zu.
Die Dunkelheit nahm mich auf, meine Beine zitterten, ich fürchtete mich so sehr.
Schritt für Schritt, mit gesenktem Kopf, mein Mäntelchen um mich geschlungen, mein Köfferchen umklammernd ging ich weiter und dann endlich mein schreckliches Weinen. Ja, jetzt konnte ich weinen, vor ihm nicht. Ich, das kleine schmächtige Mädchen wusste instinktiv, dass er meine Tränen nicht verdient hat.
Was ich nicht wusste, aber er, dass ich meiner Mutter auf dieser finsteren Straße begegnen werde, die diesen Weg nach der Arbeit immer nahm. Ja, er wusste es, dieser gefühllose Mann.
Ich rannte meiner Mutter weinend entgegen und erzählte ihr schluchzend und stammelnd, was passiert war. Sie nahm meine Hand und wir gingen gemeinsam nach Hause, wortlos, ich spürte ihre Hilflosigkeit.
Meine Mutter sagte dann nur zu ihm, mit leiser, resignierter Stimme, ach Adi. Mehr nicht! Sie hätte sich niemals getraut, ihn zu kritisieren. Er meinte darauf nur kurz angebunden, das soll ihr eine Lehre sein.
Womit er auch recht hatte. Ich habe gelernt, niemals zu werden wie er. Tja, das war meine erste bewusste Erinnerung an meinen Vater.
Meine letzte Erinnerung an diesen Mann, der ja mein Vater war, war seine Beerdigung. Für mich war es so, als ob ein Fremder beerdigt wurde, als ob ich zufällig hier dabei bin. Meine Gedanken waren bei meiner wunderbaren Tochter. Sie sagte mir im Vorfeld, sie würde nicht bei der Beerdigung dabei sein wollen. Sie würde aber mitkommen, wenn ich es mir wünschte. Ich schaute sie liebevoll an und sagte, du musst nicht dabei sein. Mein kluges, sensibles Kind mochte ihn nicht und sah ihn sehr selten. Seine Abneigung mir gegenüber, hat er auch auf meine Tochter übertragen. Er hatte aber keine Möglichkeit, das auszuleben. Ich habe sie wie eine Löwin beschützt, er hatte keine Chance dieser Opa, der keine Opa war.
Seine Lieblingstochter war meine hübsche Schwester, mit den großen Kulleraugen, ein Jahr vor mir geboren, zu Weihnachten, sie wurde das Christkind genannt. Ja, genau so mussten Mädchen sein. Nicht die, die ich war. Lang, dünn und dazu lebendig und wissbegierig.
Ein Mädchen musste hübsch sein und nicht klug und nicht das Leben lieben. Mein Vater, der den Vornamen Adolf trug, hatte so seine Prinzipien.
Ich habe ihn gefürchtet, doch weder geschätzt noch respektiert und das wusste er genau und deshalb ließ seine Wut auf mich nie nach.
Also musste ich mich fast jeden Tag entschuldigen. Meine Mutter sagte immer ängstlich zu mir, entschuldige dich. Ich fragte wofür. Sie sagte egal, mach es, mach es für mich. Ich tat es für meine Mutter.
Manchmal reichte aber eine Entschuldigung nicht aus, dann musste ich mehrmals sagen, lieber, lieber Vater, bitte, bitte verzeih mir. Was für ein dummer Mensch muss er gewesen sein.
Ich hätte mir so gewünscht, dass meine Mutter mich vor ihm beschützt.
Sie war aber dazu nicht in der Lage. Ich habe aber keinen Groll mehr, sie konnte nicht anders handeln.
Ich tue mir nicht leid, solch einen Vater gehabt zu haben. Mich hat das stark gemacht und er hat mir beigebracht genau hinzusehen. Er hat mir dazu beigebracht ein gefühlvoller, humorvoller Mensch zu werden.
Dieser harte, freudlose Mann, der mein Vater war, konnte mir meine Freude am Leben nicht nehmen, das ist doch wunderbar. Ich las mal von einer Autorin den Satz: Andere rennen um ihr Leben, ich lache um mein Leben.
Das Leben ist schön.


von Gabi
entstanden am 07. April 24