Neulich im Rhetorikseminar
von M.
Von oben sehen die Wolken aus wie ausgetretene Atompilze. Das beruhigt mich irgendwie.
Dann nähert sich das Meer, das mir zuzwinkert wie ein wollüstiges Tier. Mit seinen kleinen Hautirritationen: Containerschiffen, die zu klein sind, um vulgär zu wirken, und hin und wieder eine Insel, die unnatürlich rund aussieht. Alles hat schon fast den Charakter eines Vorschlags für einen Kurzroman, den ich schreiben möchte, wissend, dass er niemals fertig werden kann. Schon wegen der Dürftigkeit der Bilder, die nur Bilder sind.
Im Landeanflug denke ich noch, dass der Zielort aussieht wie ein aufgeplatztes Geschwür. Aber viel zu wunderbar, wenn die Sonne flach daran vorbei scheint. An Wohnsiedlungen, die sich an sich spreizende Wasser-Adern pressen. Einen Halbschlaf imitierend. Ich lausche dem Rauschen der Triebwerke mit offenem Mund und fühle mich alt und jung zugleich. Weil jede Entscheidung, die ich nun treffen muss, nicht meine eigene ist, sondern eine Art Anweisung, Zeichen zu folgen, die schon mit dem lustlosen Tanz der Flugbegleiter beginnt.
Niemand sieht sich das an.
Das Licht geht jedenfalls bald schlafen.
Das alles geht so schnell.
Die Stadt wird von Nähe befallen. Also meiner eigenen.
Es sind immer die Gänge mit einigermaßen genopptem Fußbodenbelag, der uns empfängt. Die alte Mutter Ankunft leckt an meinen unausgeschlafenen Beinen. Reste von Wind haben sich in meinen Ohren versteckt.
Aus Versehen habe ich Lust auf einen Energydrink und Kekse. Obwohl ich mich darin nicht wiederfinde. Dachte ich. Bis Energydrinks mein Hobby wurden. Die billigen, die einfach besser sind.
So schmeckt die Pisse von Batman. Denke ich jedes Mal und frage mich, ob meine Witze schon so alt und abgehalftert sind, wie ich morgens im Spiegel aussehe.
Plötzlich bin ich ein Herr. Hat ja auch lange genug gedauert. Grau wird man ganz schön schnell. Das geht in wenigen Wochen, wenn es sein muss.
Meine Sehnsucht danach, endlich als reif durchzugehen, ist gespalten, hält sich also in Grenzen.
So erstaunt mich der Anblick im Spiegel jedes Mal, genau wie die Frage nach der Qualität meines Humors und ob ich überhaupt zuhöre, wenn ich rede. Obwohl manche behauptet haben, ich würde mir selbst gerne beim Reden zuhören.
Tue ich nicht.
Würde ich jedoch manchmal gerne.
Von unten sehen die Atompilze einfach nur nach Wetter aus. Sogar noch nach dem Austrinken der Batman-Pisse aus dem Automaten.
Das beruhigt mich ebenfalls.
Das Geschwür gewinnt durch die Annäherung. Muss ich schon sagen. Sogar Dortmund.
Mein unberechtigtes Lieblingsbeispiel für Verlust. Wobei das gar nicht stimmt.
Zu Verlust gehört immer etwas, was man schon hatte, oder gehabt zu haben glaubt.
Ich hatte noch nie irgendwas mit Dortmund.
Abgesehen von schlechten Witzen, die mir im Spiegel Angst machen.
Die Geschichte von Bauchrednerfest in Dortmund zum Beispiel.
Hihi.
Mein Lieblingslachgeräusch-Imitat, weil ich immer wirklich lachen muss, wenn ich Hihi sage.
So weit hat es die Rhetorik schon gebracht, also in mir, der andauernden Untiefe, in der wir gemeinsam im Anflug stecken bleiben, Ich, Ich und Du, auf die Frage hin, wer wir sind. Mit dieser Insektenkleinen Stimme, der wir zu lauschen lernen sollten.
von M.
entstanden am 05. Mai 24